Eifer im Glauben

Wenn wir das Leben Jesu betrachten, begegnen wir immer wieder den Szenen, in denen die Menschen wegen körperlicher oder seelischer Not zu Jesus kommen, um Heilung oder geistige Nahrung zu finden. Stellen sie doch fest, dass Er redet wie einer, der Macht hat. Immer wieder sehen wir auch, welche Mühen sie auf sich nehmen oder welche Hindernisse sie überwinden, um zu Jesus zu kommen. Ein Beispiel, das jedem in diesem Zusammenhang sicherlich sogleich in den Sinn kommt, ist die Begebenheit mit dem Gelähmten, den seine Freunde auf seiner Bahre durch das Dach vor Jesus hinunterlassen. Oder denken wir an die Menschen, die Jesus hören wollen. Sie sind offenbar von so weit her gekommen, dass Gefahr besteht, sie könnten auf dem Heimweg erliegen, wenn die Apostel ihnen nicht etwas zu essen besorgten.
Von diesen Menschen sollten auch wir uns zu großem Eifer im Glauben anspornen lassen. Vergessen wir nie, dass auch wir es heute mit demselben Jesus zu tun haben, der damals auf Erden wandelte und die Menschen lehrte und heilte, und der daher auch jetzt in unserem Leben genauso wirken kann. Als ich mir dieses Thema durch den Kopf habe gehen lassen, war ich mir nicht ganz sicher, ob denn dieses Thema für die sogenannten “traditionellen” Katholiken überhaupt relevant ist, nehmen doch viele von uns ohnehin schon beachtliche Anstrengungen und Opfer auf sich, um den katholischen Glauben treu in seiner Gänze zu leben. Aber auf der anderen Seite, denke ich, lassen wir es doch, wenn wir uns einmal recht betrachten, hin und wieder am notwendigen Eifer fehlen. Und wenn nicht, so kann eine Betrachtung über den Eifer doch helfen, unsere Opfer immer mehr mit innerer Fassung und mit Freude zu bringen.
Die positive Motivation – das Reich Gottes
Nun, die Motivation zum Eifer im Glauben können wir von verschiedenen Gedanken nehmen. Man könnte sich z.B. vorstellen, dass man Gefahr läuft, ewig von Gott getrennt zu sein und des ewigen Heiles verlustig zu gehen, wenn man nicht auf der Hut ist. Das mag eine Motivation sein, es spielt dabei aber die Angst eine große Rolle, und Angst ist an sich nicht gerade die beste Motivation zum Guten, wenn auch die Kirche lehrt, dass die Angstreue noch ausreicht, um die Vergebung Gottes zu erlangen. Besser ist es, wir vergegenwärtigen uns das Positive unseres Glaubens, den Wert dessen, was Gott uns anbietet, oder was Gott mit uns vorhat, wenn wir auf Sein Angebot eingehen, und wozu unser Glaube den Weg darstellt und das Tor öffnet.
Was wird uns denn geschenkt? Jesu zentrale Botschaft lautet: “die Zeit ist erfüllt, und die Gottesherrschaft nahe herbeigekommen, tut Buße und glaubt an die Frohbotschaft” (Mk 1,15).
Immer wieder hören wir Jesus vom Himmelreich, vom Gottesreich oder von der Gottesherrschaft sprechen. Das ist das Neue, das Er bringt - das Gottesreich. Und wir sind aufgefordert und eingeladen, an diesem Gottesreich teilzunehmen.
Was ist aber dieses „Reich Gottes“? Karl Adam schreibt in seinem Buch “Jesus Christus”: “Das Reich Gottes versteht also Jesus als ungebrochene, ewige Lebensgemeinschaft mit dem Vater und Sich selbst”1. Dazu also ergeht an uns der Ruf, dass wir ein Leben in Gemeinschaft mit Gott führen. Diese Gemeinschaft mit Gott vollzieht sich zunächst eher unscheinbar und für das äußere Auge schwer erkenntlich in unserem Inneren. “Seht, das Reich Gottes ist in euch”, sagt Jesus. Und diese Gemeinschaft mit Gott wird auch nicht unbedingt zu einem von der Welt wahrgenommenen Triumphzug führen. Sagt doch Jesus schon vor Pilatus, dass Sein Reich nicht von dieser Welt sei.
Der übernatürliche Blick
Um das Reich Gottes in uns wahrzunehmen und dann zu schätzen, müssen wir daher einen Blick für das Übernatürliche entwickeln. D.h. einen Blick, der über das Natürliche, das rein Materielle hinausgeht. Wenn wir diesen Blick nicht haben, dann werden wir immer im Materiellen verfangen bleiben und dann wird es für uns über das Materielle hinaus auch nie etwas geben. Jesus macht einmal eine interessante Bemerkung, die uns auf den ersten Blick vielleicht in Erstaunen versetzt. Als ein königlicher Beamter zu Ihm kommt und Ihn bittet, zu kommen und seinen Sohn gesund zu machen, erwidert Jesus: “Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht” (Jo 4,46ff). Offensichtlich gibt es einen Glauben auch ohne Wunder, der größer ist als der, der sich auf Wunder, d.h. auf sinnlich feststellbare Zeichen, hin vollzieht und trotzdem nicht ein blinder Glaube, ein bloßes Für-Wahr-Halten, sondern wahre Erkenntnis ist. So trifft die Rüge Jesu eigentlich alle, die ihren Glauben allein von dem abhängig machen, was sie sehen oder hören. Die gleichgültig bleiben und erst dann erschüttert sind, wenn etwas Ungewohntes ihre Sinne trifft.
Befreiung aus der Sünde
Um am Reich Gottes teilnehmen zu können, müssen wir aber erst von Jesus aus der Knechtschaft der Sünde befreit werden. Auch dieser Gedanke, dass unser Glaube Befreiung bedeutet, kann unseren Eifer stärken. Der hl. Paulus schreibt einmal: „Brüder! Wir danken Gott dem Vater, der uns befähigt hat, am Lose der Heiligen im Lichte teilzunehmen. Er hat uns der Gewalt der Finsternis entrissen und in das Reich Seines geliebten Sohnes hineinversetzt. In Ihm haben wir die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Sünden.“ (Kol. 1, 12ff). Wir weilten im Reich der Finsternis, aber Jesus hat uns diesem Reich entrissen und wieder in das Gottesreich, das Reich des Lichtes, eingeführt. Dazu hat er durch Sein Blut unsere Sünden gesühnt.
Das Böse wird heute gerne verharmlost. Dass es sich dabei aber wirklich um ein Reich der Knechtschaft handelt, werden wir mit zunehmender Lebenserfahrung immer deutlicher merken. Oder vielleicht haben wir einmal ein gutes Buch gelesen oder einen guten Film gesehen, in dem das Böse in seiner ganzen Schlechtigkeit und Hässlichkeit dargestellt wird.
Der dreifaltige Gott in uns
Nachdem wir dann aus der Knechtschaft der Sünde befreit sind, können wir wie gesagt am Reiche Gottes Anteil haben, das Lebensgemeinschaft mit Gott bedeutet. Was diese Lebensgemeinschaft eigentlich beinhaltet, sagt uns Jesus an einer Stelle sehr bildlich: “Wer mich liebt..., den wird der Vater lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen” (Joh. 14,23). Dies ist eines der Worte Jesu, das wir oft hören, das wörtlich zu nehmen uns aber aus irgendeinem Grunde schwer fällt. Aber wir sollten es trotzdem wörtlich nehmen. Und wenn wir das tun und wenn wir uns einmal in den wahren Sinn dieses Satzes vertiefen, dann werden wir die wahre Bedeutung von “Reich Gottes” und “Anteil am göttlichen Leben” verstehen. Sind wir im Stande der Gnade, so wohnt Gott in unserer Seele als Freund, der gerne da ist, der sich vertraulich mit uns unterhält: “Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an: Wer meine Stimme hört und öffnet, zu dem gehe ich hinein und halte Mahl mit ihm und er mit mir” (Offenb. 3,20).
“Bist du in der Gnade, so weilt Gott nicht nur in dir: als lebendiger Gott lebt er in dir! Er lebt sein Innenleben, sein trinitarisches Leben. Es lebt in dir der Vater, der dauernd seinen Sohn zeugt, es leben Vater und Sohn, von denen ohne Unterlass der Heilige Geist ausgeht. Deine Seele ist der kleine Himmel, in dem sich dieses herrliche göttliche Leben entfaltet, das Leben der Heiligsten Dreieinigkeit. Warum aber sollte die Dreieinigkeit in dir leben, wenn sie dich nicht ihrem Leben beigesellen, dich nicht einmünden lassen wollte in ihren Lebensstrom?
Der Vater zeugt in dir den Sohn und schenkt dir, um dich um seinetwillen zum Adoptivkind zu machen, seinen eingeborenen Sohn, der für dich Mensch geworden ist. Vater und Sohn hauchen in dir den Heiligen Geist und schenken ihn dir, damit er, das Ziel und Band ihrer Liebe und Vereinigung, auch das Band deiner Liebe und deiner Vereinigung mit ihnen sei.
Die göttlichen Personen sind in dir: Du nimmst sie auf und fügst dich ihrem göttlichen Leben ein durch den Glauben und durch die Liebe. Durch den Glauben glaubst du an sie, durch die Liebe vereinigst du dich mit ihnen.”2
Die Sakramente – übernatürliche Hilfe
Wenn uns unsere Überlegung dahin gebracht hat zu erkennen, was Herrliches unser Glaube uns gibt, dann werden wir auch die Sakramente besser verstehen und schätzen. Sind sie doch die Mittel, durch die Gott uns Gnaden, d.h. übernatürliche Hilfe zukommen lässt und dadurch das ewige Leben, das übernatürliche Leben, das auch der Tod uns nicht nehmen kann, in uns erzeugt (Taufe), erneuert (Beichte) oder intensiviert (die übrigen Sakramente, besonders die hl. Kommunion). Überlegen wir uns das einmal, wenn wir zur hl. Kommunion gehen. Gott gibt uns wieder eine neue “Dosis” dieses übernatürlichen Lebens, Seines göttlichen Lebens. Und nicht nur das. Wie wir wissen, bringen wir ja in der hl. Messe in der Vereinigung mit Christus Gott ein Opfer dar. Ein unendlich wertvolles und reines Opfer. Mit diesem Opfer vollzieht Christus einen unendlich wertvollen Sühneakt, der Wiedergutmachung leistet für das ganze Böse, das auf der Welt ununterbrochen passiert. So treten wir in der Vereinigung mit dem Opfer Christi der Ausbreitung des Reiches des Bösen entgegen, indem wir etwas tun, was das Böse durch seine Güte übertrifft. Wir tun dann, auch wenn wir nur zu zweit oder dritt in der Kirche anwesend sind, etwas für das Heil der ganzen Welt. So sind wohl auch die bekannten Worte P. Pios zu verstehen, wenn er sagt, die Welt könne eher ohne die Sonne bestehen, als ohne die hl. Messe.
Unser Kreuz
Wo bleibt denn der Friede und die Freude bei mir, wird sich mancher fragen. Ich bin doch getauft, ich gehe sonntäglich zur hl. Messe, gehe regelmäßig zur hl. Beichte und bemühe mich, den Willen Gottes zu tun. Trotzdem muss ich mich mit den verschiedensten Problemen herumplagen und das Leben geht mir überhaupt nicht leicht und mit Freude von der Hand.
Nun, Jesus hat auch denen, die Ihm folgen, nicht unbedingt ein angenehmes Leben versprochen. Er hat gesagt, dass, wer Ihm nachfolgen will, täglich sein Kreuz auf sich nehme und so Ihm nachfolge. Er ist ans Kreuz gestiegen und hat gesagt, dass da, wo der Herr ist, auch der Knecht sein solle.
Trotzdem spricht Jesus offensichtlich immer in der Überzeugung, dass er den Menschen die Freiheit und das Leben, also etwas Schönes bringt; und trotzdem sieht es die Kirche, die ja durchaus vertraut war mit der Tatsache, dass Christusnachfolge nicht unbedingt ein bequemes Leben bedeutet, es als Ehre an, Ihm nachfolgen zu dürfen. So betet sie z.B. in der Postcommunio des Christkönigfestes: „...die wir uns rühmen, unter dem Banner Christi des Königs kämpfen zu dürfen.“ Wenn wir also auch weiterhin unsere Kreuze werden tragen müssen, so heißt das doch nicht, dass wir nicht trotzdem innerlich im Frieden Gottes sind.
Vielleicht leiden wir ja auch deshalb unter den Missständen des Lebens so sehr, weil wir die richtige Rangordnung noch nicht haben: Wenn es für uns das Wichtigste im Leben wird, mit Gott im Frieden zu leben, dann fällt es uns auch leichter, die Unannehmlichkeiten zu tragen, die wir wie alle Menschen erdulden müssen, oder die wir vielleicht gerade wegen unseres Glaubens erdulden müssen. Aber wenn wir das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zuerst suchen, dann hat Jesus interessanterweise auch versprochen, dass uns dies alles (Nahrung, Kleidung etc. – die Dinge, nach denen laut Jesus die Heiden trachten (vgl. Mt 6,31f)!) darüber hinaus gegeben wird. Eigenartig – Jesus will offensichtlich selbst denen, die sich anscheinend berechtigte Sorge machen um das tägliche Brot, den Schritt erleichtern, sich ganz Jesus hinzugeben und zunächst nichts anderes zu suchen als Ihn.
Wollen wir uns also bemühen, den übernatürlichen Blick zu entwickeln und das Reich Gottes in uns wahrzunehmen. Bitten wir auch Gott, dass Er uns hilft, diesen Blick für das Übernatürliche zu gewinnen und uns an der Gegenwart Seines Reiches zu erfreuen. Lassen wir uns bei diesem unserem Gebet durch das Verhalten der Menschen, die Hilfe bei Jesus gesucht haben, inspirieren, von ihrem Eifer, von ihrem Verlangen. Schauen wir z.B. auf die Frau, die an Blutfluss litt. Sie hat kein einziges Wort an Jesus gerichtet. Alles was sie tat, ist, dass sie die Quaste Seines Gewandes berührte, weil sie dachte, wenn sie auch nur das täte, werde sie gesund. Als sie dann tatsächlich gesund geworden war, sagt Jesus zu ihr, dass ihr Glaube sie gesund gemacht habe. Wir sehen also, auf viele Worte kommt es nicht unbedingt an. Wichtig ist, dass aus unserem Herzen dieselbe Sehnsucht nach Genesung spricht, wie aus dem der Frau, und dass wir mit demselben Vertrauen Jesus nahen, wenn es auch bei ihr der Wunsch nach körperlichem Heil war, während es uns hier eher um den Wunsch nach geistiger Hilfe geht.
Lassen wir uns also zu wahrem Eifer anspornen, dadurch, dass wir uns überlegen, wozu wir von Gott berufen sind – zur lebendigen Lebensgemeinschaft mit Gott. Hören wir die Worte des hl. Johannes vom Kreuz, die er, ergriffen von der Wirklichkeit des göttlichen Lebens in uns, ausruft: “Ihr Seelen, zu so Großem erschaffen und berufen! Was tut ihr? Womit beschäftigt ihr euch?”3

P. Johannes Heyne

1 Adam Karl, Jesus Christus, Patmos-Verlag Düsseldorf, 1946, S. 154
2 P. Gabriel a S. Maria Magdalena O.C.D., Geheimnis der Gottesfreundschaft Bd. II, Lins-Verlag, 1958, S. 294
3 Johannes vom Kreuz, Geistlicher Gesang 39


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